Unsere grosse Reise

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Switzerland
Jacqueline wurde im vergangenen Jahr 40 Jahre alt und Dani konnte den selben Geburtstag dieses Jahr feiern. Wir beide sind seit 10 Jahren verheiratet und kennen uns seit über 20 Jahren. Für uns liefern bereits schon diese Fakten genug Gründe, um ein neues grosses "Midlife"-Abenteuer in Angriff zu nehmen. Das ganze geschmackvoll angereichert mit unserem chronischen Fernweh ergibt nun im Endergebnis eine Reise, von welcher wir noch nicht genau wissen, wohin sie uns im Detail führt, wie lange sie dauert und was genau auf uns zukommen wird. Mit diesem Blog möchten wir euch ein bisschen Anteil an unserem Trip haben lassen und euch aus unserer Optik berichten, was wir in der grossen weiten Welt erleben und was gerade so abläuft. Wir danken euch schon heute für eurer Interesse und wünschen euch viel Spass im Seitenwagen von Jack Daniels.
"Der Gewinn eines langen Aufenthaltes ausserhalb unseres Landes liegt vielleicht weniger in dem, was wir über fremde Länder erfahren, sondern in dem, was wir dabei über uns selbst lernen."

Roger Peyrefitte (*1907), frz. Schriftsteller und Politiker

Samstag, 17. Dezember 2011

Indien - aus vergangener Zeit

Die letzten zwei Wochen haben wir Indien von einer etwas anderen Seite kennengelernt, wir waren unterwegs auf verschiedenen Pfaden, haben die Gegenwart ein wenig in den Hintergrund gestellt und uns auf Spurensuche in die Vergangenheit begeben.

Kolkata

Den meisten von euch wird diese westbengalische Stadt noch unter dem Namen Kalkutta bekannt sein. Als Folge der Unabhängigkeit zum britischen Emporium haben die Inder in den 80-er Jahren aber viele Namen gewechselt (aus Bombay wurde Mumbai, aus Madras wurde Chennai etc.). Kolkata war bis 1911 die koloniale Hauptstadt der Engländer und noch heute deutet vieles auf diese Epoche hin. So gibt es in Kolkata viele mächtige Gebäude, breite Boulevards, englische Kirchen und grosse, streng angelegte Gärten. Alles wirkt heute ein wenig abgewettert und verfallen, was dem Ganzen einen ganz besonderen Charme verleiht. Der Höhepunkt in Kolkata war für uns allerdings der Besuch im Haus der „Missionarinnen der Nächstenliebe“. Hier befindet sich die letzte Ruhestätte der Ordensgründerin, Mutter Teresa. Für viele war sie der Inbegriff menschlicher Aufopferung, und mit ihrer Hingabe für die Ärmsten unter den Armen hat sie ein eindrückliches Erbe hinterlassen. Auch wenn der Orden inzwischen zu einer international tätigen Wohlfahrtorganisation expandierte, lebte Mutter Teresa selbst weiter in absoluter Einfachheit. 1979 erhielt sie den Friedensnobelpreis und im Oktober 2003 wurde sie vom Vatikan selig gesprochen – ein erster Schritt in Richtung Heiligsprechung. Der Besuch bei Mutter Teresa war sehr eindrücklich, lange haben wir die Ruhe und sakrale Stimmung in der Kapelle genossen und wir hatten tatsächlich ein wenig das Gefühl, die Präsenz von Mutter Teresa sei zu spüren – eine ganz schöne Erfahrung.

Dann haben wir schliesslich nach gut zwei Monaten Nordinien verlassen und sind weiter in die Finanz- und Filmmetropole Mumbai geflogen. Wir hatten sofort das Gefühl, in einem neuen Land angekommen zu sein. Hier gibt es sehr viel Reichtum, Banken, Hochglanzgeschäfte, alles ist viel geordneter und einfach auch ein bisschen weniger chaotisch. Da wir Mumbai schon von unserer letzten Reise her kannten, wollten wir uns nicht allzu lange hier aufhalten. So sind wir aufgezogen und haben drei ganz unterschiedliche Orte kennengelernt.

Pune

Wer erinnert sich nicht mehr an Bhagwan Shree Rajneesh, bei uns besser bekannt als der Sexguru Bhagwan. Osho, wie er sich lieber nennen liess, war einer von Indiens schillerndsten und ohne Zweifel umstrittensten „Exportgurus“. Er versuchte, den mystischen Orient weltweit zu vermarkten und wirkte zunächst in Pune. Weltweit erregte er bei vielen Empörung durch seine Ansicht, Sex sei der Weg zur Erleuchtung. Auf dem ganzen Erdenrund probierte Bhagwan mit seiner Ansicht zu missionieren, was ihm nebenbei Millionen von Dollars einbrachte. Schliesslich wurde er in den USA der illegalen Einwanderung beschuldigt und ausgewiesen. Eine endlose Reise begann, auf der Osho und seine Anhänger bei ihrer Suche nach einem neuen Hauptquartier aus 21 Ländern ausgewiesen wurden, bzw. gar nicht erst einreisen durften (z.B. auch die Schweiz). 1987 kehrte er schliesslich zu seinem Ashram in Pune zurück. Auch wenn Bhagwan heute nicht mehr lebt, kommen seine Anhänger immer noch in Scharen aus aller Herren Ländern nach Pune. Wir haben den Ashram nur von aussen gesehen, hatten aber trotzdem die Möglichkeit, durch ein Fenster ins Innere des Komplexes zu schauen. Es ist eine ganz andere Welt dort drinnen, die Leute wirkten alle in Trance, uns war beim Anblick der in Zeitlupentempo tanzenden Leute nicht so wohl, sicherlich interessant, aber bei uns hat das Ganze doch eher eine Gänsehaut ausgelöst.

Hölen von Ellora und Ajanta

Ein Besuch in den Hölen von Ellora und Ajanta (beides UNESCO Weltkulturerbe) gehört schon fast zum Pflichtprogramm eines Indienbesuches. Die Kunst des Höhlenbaus erreichte in den beiden Stätten einen historischen Höhepunkt. Sie sind echte Meisterwerke der alten indischen Felsenarchitektur und wurden fünf Jahrhunderte lang in mühseliger Arbeit von Generationen von buddhistischen, hinduistischen und jainistischen Mönchen aus dem Fels geschlagen. Es entstanden Klöster, Kapellen und Tempel, welche mit einer unglaublichen Präzision bearbeitet wurden. Wenn man bedenkt, dass die ersten Höhlen vor mehr als zweitausend Jahren entstanden, bleibt einem wirklich nur Staunen und Ehrfurcht, was diese Leute vollbracht haben. Beim grössten Tempel, dem Kailash Tempel, wurden 200 000 t Gestein entfernt, alles ohne Dynamit und Kompressor, nur mit einfachsten Hilfsmitteln wie Hammer und Meissel.

Nasik

Nach rund drei Monaten Abstinenz vom Rebensaft freuten wir uns unglaublich auf die Weingüter rund um Nasik. Ja, ihr habt richtig gehört, auch Indien produziert seit noch nicht allzu langer Zeit Wein. Im bergigen Nasik, gesegnet mit fruchtbaren Böden und kühlem Klima, scheinen tatsächlich ähnliche Bedingungen zu herrschen wie in Bordeaux. Bis heute war Nasik vor allem für den Anbau von Tafeltrauben bekannt. Seit einiger Zeit probieren sich aber zunehmend mehr Produzenten mit der Herstellung von Wein, und das Resultat ist verblüffend gut. Obwohl Indien überhaupt keine Weinkultur besitzt, kredenzen die Weingüter sehr schöne Weine. Speziell zu erwähnen sind die Weissweine (Viognier, Riesling, Chenin Blanc) sowie die köstlichen Schaumweine. Mit den Rotweinen allerdings werden sie wohl noch ein paar Jahre Erfahrungen sammeln müssen, bis diese einen internationalen Standard erreichen. Zum Glück haben einige Weingüter das Geschäft mit dem Tourismus entdeckt. So waren wir bei Sula Wines auf einer Tour mit Degustation. Anschliessend liessen wir es uns auf der traumhaften Terrasse hoch über dem Rebberg mit indischem Wein und Häppchen gutgehen, wir fühlten uns wie irgendwo, aber sicher nicht wie in Indien.

Und so ist die Reiserei in Indien für uns schon bald Geschichte. In ein paar Tagen fahren wir mit dem Zug nach Goa und werden uns einen Monat von der nicht ganz so einfachen Indientour erholen. Es erwartet uns ein traumhafter und ziemlich verlassener Strand, ein kleines und gemütliches Hotel inmitten eines Palmenhains, guten Seafood und etwas Ruhe. Da die Mehrheit der Leute in Goa Christen sind, wird natürlich auch ausgiebig Weihnachten gefeiert, was wollen wir also mehr. In diesem Sinne wünschen wir euch allen ein ganz schönes Weihnachtsfest, geniesst es!



ein Erbe der Briten, die (verrostete) Strassenbahn von Kolkata

fast wie in Cambridge, die St. Paul's Cathedral

ein ganz besonderer Ort, die letzte Ruhestätte von Mutter Teresa

die imposante Skyline von Mumbai

eine andächtige Stimmung in den Höhlen von Ellora
einfach unglaublich, alles aus dem Fels gehauen (ausser die Figur im Vordergrund)

der erste Wein seit drei Monaten, und er schmeckte vorzüglich

ein Prosit auf alle zu Huse - SCHÖNE WEIHNACHTEN!

Dienstag, 6. Dezember 2011

Indien - Leben und Tod


Viele Stunden mit unzähligen Kilometern haben wir im Zug verbracht und sind vor ein paar Tagen in der westbengalischen Stadt Kolkata (ehemals Kalkutta) angekommen. Wieder einmal überlegen wir uns, wie wir das Erlebte zu Papier bringen sollen. Die Eindrücke sind dermassen tief, die Gegensätze extrem krass und vieles erscheint uns fast surreal. So beschränken wir uns diesmal auf ein Thema, welches uns beschäftigt und mit dem wir uns fast tagtäglich auseinanderzusetzen haben.

Leben und Tod sind in Indien allgegenwärtig. Wir sehen Menschen vor sich hinvegetieren, was sie von ihrem Leben noch übrig haben, ist unwürdig, es kümmert sich niemand um sie, es hat zu viele Menschen, jeder hat mit sich selbst zu kämpfen. Wir sehen Leute auf der Strasse sterben, es ist absehbar, dass ihnen ihre letzte Stunde geschlagen hat, auf dem Weg in eine (vielleicht) bessere Welt werden sie von niemandem begleitet, alle haben wichtigeres zu tun, bei vielen geht es ebenfalls ums Überleben. Vor unseren Augen verenden Tiere, vor lauter Krankheiten sehen sie aus wie Monster, sie werden von Fahrzeugen überfahren, dies kümmert niemand, die Kadaver lässt man einfach liegen. Wir werden Zeugen, wie Menschen tot auf der Strasse liegen, sie werden in Tücher gewickelt und mit dem Traktor abtransportiert, als wäre es die normalste Sache der Welt.

Die eindrücklichsten Erlebnisse hatten wir aber in Varanasi (ehemals Benares). Willkommen in einem der blendend buntesten, unerbittlich chaotischsten und gnadenlos irrationalsten Orte der Welt. Die Stadt gehört zu den ältesten ununterbrochen besiedeltsten Städten unseres Planeten und zählt zu den heiligsten Orten Indiens. Hinduistische Pilger strömen an die Ghats, die das Ufer des Ganges überziehen, um sich in dem heiligen Wasser von ihren Sünden reinzuwaschen oder um die Leichen ihrer Angehörigen einzuäschern. Die Toten werden singend auf Bahren durch die engen Gassen der Altstadt getragen bis der Leichenzug das Ufers des Ganges erreicht hat. Der Körper wird in den „heiligen“ Fluss getunkt und anschliessend auf den bereits vorbereiteten Scheiterhaufen gelegt. Das Feuer wird entfacht und die sterblichen Überreste werden verbrannt, bis am Schluss die gesamte Asche in den Fluss gestreut wird. Alles geschieht unmittelbar vor den Augen der Anwesenden, man sieht alles, wirklich alles – man riecht alles, wirklich alles. Die intimsten Rituale von Leben und Tod finden hier in aller Öffentlichkeit statt. Varanasi ist nichts für Zartbesaitete, auch uns sind diese Momente ziemlich eingefahren. Wer sich aber wie wir auf die Stadt einlässt, erlebt wohl die magischsten und eindrücklichsten Momente seines Lebens.

In Indien gehört die Vergänglichkeit des Seins zum Alltag. Wie offen und selbstverständlich die Leute damit umgehen, beeindruckt uns zu tiefst, es gibt keine Tabus, der Tod gehört zum Leben, das Leben zum Tod. Jeder akzeptiert sein Karma und schaut seinem Schicksal tief in die Augen, der hinduistische Glauben an die Reinkarnation (Wiedergeburt) sowie das (offiziell abgeschaffte!) Kastensystem tragen das seinige dazu bei. Im nächsten Leben wir alles anders.

Viele solcher Bilder erleben wir nur deshalb so intensiv, weil wir in den Städten nicht wie viele andere Touristen mit Bus, Rikscha oder Taxi unterwegs sind, sondern uns mehrere Stunden zu Fuss durch das chaotische und lärmende Strassengewirr bewegen. Wir sind mittendrin, wir gehören quasi dazu, wir fühlen den Puls des Lebens.

Immer wieder ringen wir um Worte, wenn wir über dieses Land berichten möchten. Gelingen wird es uns wohl nie, Indien kann man nicht beschreiben, Indien muss man erleben. Der Autor unseres Reiseführers schreibt, dass Indien wohl zu einem der am schwierigsten zu bereisenden Länder gehört, wir können dem nur beipflichten. Es wird einem alles abverlangt, der Gegenwert allerdings ist unermesslich, er ist unbezahlbar.


die verwinkelten Gassen von Varanasi

hier hat es Platz für alle Gestalten

die einen baden als religiöses Ritual...

...andere wiederum baden, um sich zu reinigen

...oder sie benutzen den Fluss um Kleider zu waschen

der Ganges muss für alles hinhalten

für uns kommt da eine Kaffeepause gerade gelegen